„Dass form.bar mit lokalen Schreinern kooperiert, finde ich super“
Konstantin Küspert zählt zu den bekanntesten Dramatikern Deutschlands, seine Stücke stehen seit vielen Jahren auf den Spielplänen renommierter Theater. Regelmäßig feiern Kritiker die Arbeiten des 1982 in Regensburg geborenen Schriftstellers. Er schreibe „mit Wucht, Humor und auffallend hoher Taktzahl gegen den Zynismus und die Selbstgefälligkeit unserer Zeit an“, befand die Süddeutsche Zeitung. Die Science-Fiction-Welten seiner Bühnenstücke „faszinieren, irritieren und erschrecken zugleich“.
Herr Küspert, Sie sind berühmter als wir dachten…
(lacht) Ich bin Theater-Autor, in der Szene bin ich bekannt, aber die Theaterszene ist nicht soooo groß.
Natürlich fände ich es cool, wenn noch viel mehr Menschen ins Theater gehen würden.
Sie beschäftigen sich sehr mit sozialkritischen Themen, mit Rassismus, Sterbehilfe, moderner Sklaverei,
Überwachung, Europa. Wie kommen Sie auf Ihre Themen, was treibt Sie an?
Es sind alles Themen, die mich schon lange interessieren. Ich finde, wir sind als Gesellschaft an einem
Scheideweg, es liegt einiges im Argen.
Und ich will die Zeit einfach nicht verschwenden, die Zeit im Theater, also wenn nicht gerade Corona ist. Wenn
300 bis 400 Leute in einer Vorstellung sind, müssen die zuhören.
Statt einer leichten Komödie finde ich dann Sachen besser, die aktuelle Themen unterstreichen, einen Fokus
setzen, Fragen aufwerfen.
Wie funktioniert Rassismus, was ist das Problem mit Europa, das Problem mit Sterbehilfe? Zunächst geht es darum,
die richtigen Fragen zu stellen - denn die Antworten kenne ich ja auch nicht.
Sie wollen Menschen auf Themen aufmerksam machen, sie auch überzeugen?
Ums Überzeugen geht es weniger. Ich glaube, dass die meisten Menschen, ich eingeschlossen, im Alltag eine sehr
selektive Wahrnehmung haben.
Bestimmte Themen blenden wir komplett aus. Ich bin kein Klimaforscher, aber ich habe mich mit Klimaforschern
unterhalten. Und die sagen ganz klar:
Eigentlich müssten wir die ganze Zeit schreiend rumrennen, weil wir wirklich auf dem Weg in eine ganz massive
Katastrophe sind. Aber wir schaffen es, das auszublenden.
Wir fahren weiter Auto, haben Öl-Heizungen, konsumieren wie blöd, essen Papayas aus Südamerika. Wir machen uns
darüber Gedanken, aber können es ausblenden.
Ich wünsche mir, dass ich es schaffe, vielleicht ein paar Menschen diese Möglichkeit zu nehmen. Ich will, dass
sie sich damit befassen.
Und wenn sie dann sagen, ja okay, ich habe darüber nachgedacht, ich will trotzdem nach Chile in den Urlaub
fliegen, dann ist es auch okay.
Ich kann ja niemanden zwingen, das nicht zu tun. Aber er hat sich dann mit der Frage beschäftigt, das finde ich
wichtig.
„Wenn es lustig ist, nimmt man Wahrheiten leichter auf“
Ist es Ihr Ziel, die Welt besser zu machen?
Wäre natürlich schön, denn die Welt hat es nötig. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich das mit meinem
Schreiben erreichen kann.
Doch der Anspruch von uns allen sollte sein, dass wir daran arbeiten, die Welt nicht noch schlechter zu machen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel das Thema Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Die „Zeit“ hat dazu provokant gefragt: Oder soll
man es lassen?
Aber mit unserer Moralvorstellung gibt es da keine zwei Meinungen. Das können wir nicht machen, das ist
alternativlos.
Denn wenn wir das zulassen, wenn wir aufhören, die Menschen zu retten, dann haben wir nichts mehr, was wir an
europäischen Werten verteidigen können.
Insofern versuche ich schon, die Welt besser zu machen, und vielleicht die Leute dazu zu bringen, sich zu ihren
Idealen zu bekennen, dazu, was richtig und was falsch ist.
Blickt man auf Ihre Erfolge, gelingt Ihnen das sehr gut. Besonders gefeiert werden Ihre
Was-wäre-wenn-Geschichten. Was wäre, wenn der Kolonialismus andersherum gelaufen wäre?
Oder das Stück „sterben helfen“. Da geht es um eine Gesellschaft, in der Sterbehilfe der Normalfall ist, das
natürliche Sterben verpönt.
Die Protagonistin mit einer unheilbaren Krebserkrankung wehrt sich aber dagegen, mutet ihrem Umfeld das Leiden
zu.
Tatsächlich glaube ich, dass man durch Verdrehung, durch Umkehrung einen sehr guten Blick auf einen Sachverhalt
bekommt.
Ist diese Umkehrung Ihre Spezialität, etwas, was Sie besonders reizt?
Wenn man sich vorstellt, dass die Kinder in Bayern auf endlosen Rübenfeldern arbeiten, damit die Menschen in
Südamerika Frühstücksrüben für ihr Müsli kriegen -
das ist dann erstmal witzig, aber es sind die Realitäten, nur eben andersrum.
Ich habe das Gefühl, das funktioniert gut, wenn es lustig verpackt ist, dann nimmt man bestimmte Wahrheiten
leichter auf.
So ähnlich wie früher bei der Schluckimpfung, die es mit einem Stück Zucker gab.
Aber das Lachen bleibt einem schnell im Hals stecken, das soll es auch?
Gerne. Immer gerne. Reine Komödien sind nicht mein Fall, die finde ich langweilig zu schreiben.
„Wir müssen wieder besser miteinander umgehen“
Auf Ihrem Facebook-Profil steht unter Ihrem Namen der interessante Satz „das ist nicht normal“. Was hat es
damit auf sich?
Das war die Reaktion auf 2016, erst dieser Scheiß-Brexit und dann die Wahl von Trump. Alle waren geschockt, aber
dann hat die Normalisierung der Absurdität stattgefunden.
Man gewöhnte sich an die Ausfälle Trumps, hat auch viel vergessen, weil er immer noch eins draufgesetzt hat.
Ja, Trump konnte machen, was er wollte. Er hat offen gesagt, er fasst Frauen in den Schritt, und er wurde
dennoch gewählt. Das meine ich mit Normalisierung der Absurdität. Man stumpft ab.
Trump konnte offen lügen, völlig unbestraft die gesamte US-Gesellschaft in Geiselhaft nehmen, um seine
finanziellen Interessen voranzutreiben usw.
Und wir fanden das irgendwann gar nicht mehr so schlimm, weil es normal geworden war. Doch ganz klar: Das ist
nicht normal!
Oder Bolsonaro in Brasilien, das ist alles nicht normal, auch ein Gauland konnte ungestraft Sachen sagen wie
„Vogelschiss“ oder „Wir werden sie jagen“.
Diese Sprache dürfen wir nicht zulassen, diese Normalisierung. Doch wir bewegen uns dorthin als Gesellschaft.
Corona hat das nochmals verstärkt.
Mein Eindruck ist, dass die AfD aber auch sehr zurückgedrängt wurde durch Corona.
Ja, es stimmt, es sind jetzt auch noch ganz andere aufgetaucht, Corona-Leugner, oder die QAnon-Bewegung, die in
einer noch völlig anderen, praktisch wahnhaften Wirklichkeit leben,
die ernsthaft davon ausgehen, dass „die Eliten“ Kinder entführen und foltern und ihr Blut trinken.
Durch das Internet können sich solche Verschwörungsgläubigen wunderbar vernetzen, das ist gefährlich.
Ist das Internet gefährlich?
Zumindest ist die Technologie immer noch so neu, dass wir noch nicht gelernt haben, damit umzugehen, nicht die
nötige Medienkompetenz haben, das alles wirklich zu verstehen.
Es sind ganz interessante Zeiten, in denen wir leben. Und das ist ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt.
Mein künstlerisches Lebensthema ist eigentlich, dass ich versuche, in Richtung einer neuen Aufklärung zu
arbeiten. Weil ich glaube, dass wir die dringend brauchen.
In welcher Form?
Dass wir wieder lernen, mündige, souveräne Menschen zu sein, die auch die Demokratie stützen, Diskurse
verstehen, Kompromisse aushalten.
Wieder besser miteinander umgehen lernen, uns selbstverantwortlich, solidarisch und gleichberechtig zu
verhalten.
„form.bar bietet fantastische Möglichkeiten“
Wie optimistisch ist da Ihr Menschenbild?
Nicht sehr. Momentan nicht sehr. Ich war positiv überrascht zu Beginn der Corona-Pandemie, weil wir als
Gesamtgesellschaft es lange gut hinbekommen haben.
Die Leute sind immer noch schon sehr verantwortlich in der Regel. Gleichzeitig passiert etwas Interessantes: Die
Menschen merken, dass sie wirklich was verändern können mit ihrem Handeln.
Dass die Zahlen runtergehen, wenn man sich richtig verhält.
Macht Ihnen das Hoffnung für Herausforderungen wie den Klimawandel?
Ganz genau. Viele merken, dass Verhaltensänderungen auch dabei helfen können, den Klimawandel aufzuhalten.
2020 sind die Emissionen krass zurückgegangen global, wobei die individuelle Mobilität gar nicht das
Hauptproblem ist, sondern die Industrie.
Oder, wenn man ganz ehrlich ist: der Kapitalismus.
Gibt es nicht in diesem Kapitalismus gerade auch viele engagierte Firmen, die etwas ändern wollen, denen
Klima- und Umweltschutz wirklich was bedeutet?
Doch. Das ist auch etwas, was ich gut finde an form.bar, dass sehr stark versucht wird, nachhaltig zu
produzieren, dezentral und lokal.
Hat das bei Ihrer Kaufentscheidung konkret eine Rolle gespielt?
Total. Auf jeden Fall.
Wie sind Sie auf uns gestoßen?
Klassisch gegoogelt. Regale auf Maß. Da ist mir schnell aufgefallen, dass form.bar mit lokalen Schreinern
kooperiert, das finde ich super und es war mir wirklich auch wichtig,
weil auf diese Weise Transportwege eingespart werden usw.
Ich glaube, wenn wir den Kapitalismus erhalten wollen und das Klima schützen, wenn der Kapitalismus reformierbar
sein soll, dann brauchen wir genau solche Ansätze, genau solche Bewegungen.
„Ich finde es absurd, dass es Milliardäre gibt“
Die Zeit drängt…
Klar ist: Wenn wir es in den nächsten Jahren nicht gebacken kriegen, dann sehe ich keine andere Möglichkeit, um
die Klimakatastrophe abzumildern als einen tiefgreifenden Systemwandel.
Dann geht’s halt ohne Kapitalismus weiter.
Wie denn?
Ich würde mir ein solidarischeres Wirtschaftssystem wünschen, kleinteiliger, mit Communitys, die mit einem
idealistischen Ansatz miteinander Mittel teilen, im Sinne von Kollektiven, aber dafür ist mein Menschenbild zu
düster.
Ich glaube, da bekommt man die nötige Anzahl an Idealisten nicht zusammen.
Es gab ja schon einige Versuche...
Das Problem war meistens, dass in dem Moment, wo man eine Partei hat, die dann die Führung übernimmt, diese
Partei korrumpiert wird durch die reine Macht.
Das ist passiert in den ganzen kommunistischen Staaten, daher ist das alles Geschichte. Dennoch: Der
Kapitalismus ist kein Naturgesetz.
Bei aller Kritik hat er auch viel Gutes gebracht…
Natürlich haben unzählige Menschen profitiert. Der Kapitalismus hat uns die niedrigsten Säuglingssterblichkeit
gebracht, viele Krankheiten ausgerottet, er schafft ganz viele Möglichleiten,
aber das hat sich gerade zuletzt auch wieder geändert. Durch die Privatisierung und Deregulierung von Clinton,
Bush oder Schröder hat die globale Wohlstandsbewegung stagniert und seit längerem führt das alles dazu,
dass wenige Superreiche immer reicher werden. Das kann nicht nachhaltig sein, ist es nicht, und da sind wir
wieder bei meinem künstlerischen Schaffen:
Es gibt eine ähnliche Situation wie bei der letzten Aufklärung mit feudalen Systemen, nur, dass sie verschleiert
sind und auf Geld basieren. Vielleicht muss man da Gerechtigkeit herstellen.
Das klingt nach „Krieg den Palästen“!
Auf jeden Fall. Aber ein gewalttätiger Umsturz bringt nichts aus meiner Sicht, nötig ist eher ein Krieg dem
System, das die Paläste hervorbringt.
Ich finde es absurd, dass es Milliardäre gibt. Das verstehe ich nicht. Ronaldo hat neun oder zehn Lamborghinis,
das ist einfach lächerlich, wenn gleichzeitig Leute verhungern.
Da gibt es keine Relation. Wofür? Warum? Manche Leute haben so viel mehr Geld, als sie in zehn Generationen
ausgeben können. Das ist einfach falsch.
Ich finde es total okay, wenn jemand im Wohlstand leben will. Ich neide niemandem seine Villa, seinen
Sportwagen, aber zehn? Milliardäre sollte es nicht geben. Das ist einfach falsch.
„Amazon an sich ist nicht das Problem“
Corona hat die Superreichen noch reicher gemacht…
Das stimmt. Jeff Bezos ist auf dem Weg, der weltweit erste Billionär zu werden. Wir bewegen uns in Richtung
Dagobert Duck.
Bestellen Sie denn bei Amazon?
Natürlich. Es ist halt so bequem. Das Ding ist ja aber: Amazon an sich ist nicht das Problem, wenn sie richtig
besteuert würden.
Die richten unsere Infrastruktur zu Grunde und zahlen fast keine Steuern dafür, das ist unfassbar.
Das ist der Grund, warum die so viel Kohle haben. Weil sie einen Systemfehler ausnutzen.
Wie haben Sie es geschafft, Ihr Leben nach Ihren Wünschen zu formen?
Ich hatte Glück im Endeffekt. Ich schreibe ja schon lange und 2010 hatte ich das Glück, an der Universität der
Künste in Berlin angenommen zu werden, wo es eine rigorose Aufnahmeprüfung gibt.
Seither interessieren sich die Leute für das, was ich schreibe. Diese Chance hat alles verändert.
Woher kommt Ihre Freude am Schreiben?
Geschichten interessieren mich. Ich finde es spannend, etwas zu erzählen, etwas zu erzählen zu haben.
Ich habe relativ früh mit dem Schreiben angefangen, in der Grundschule mit einer alten Schreibmaschine, die bei
meinen Eltern rumgestanden hat.
Inspiriert von?
Ich habe immer schon viel gelesen. Ganz viele Lustige Taschenbücher, Hunderte. Auch Asterix oder Herr der Ringe.
„Wir werden leider immer bekloppter, dümmer“
Lesen hilft immer?
Lesen ist super. Weil es Kreativität trainiert, weil man Sachverhalte komplexer und differenzierter wahrnimmt.
Umso schlimmer finde ich, dass ich bei mir selber bemerke, dass ich weniger lese seit einigen Jahren, weil sich
durch das Scheiß-Handy meine Aufmerksamkeitsspanne verändert hat.
Ich kann ja kaum noch Single-Tasken, selbst beim Fernsehschauen habe ich das Handy in der Hand. Schreckliche
Sache. Aber es hat sich vieles grundlegend verändert.
Wir sind ja eigentlich Telepathen heute. Bis wir das verstanden haben, werden wir leider immer bekloppter,
dümmer.
Fotos: Privat, Felix Grünschloß, Trixy Royeck
Was verstehen Sie unter Telepathen?
Wir können zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit jedem anderen Menschen auf der Welt in Kontakt treten, zudem haben
wir alle das gesamte Wissen unserer Spezies zur Verfügung eigentlich.
Aber wir kommen damit nicht klar, wir werden nicht schlauer, sondern dümmer. Und wir fangen an, überall
Verbindungen zu sehen, die es nicht gibt, Verschwörungsquatsch. Das ist schon traurig.
Haben Sie eine Weisheit für uns, die ihnen hilft?
Was beim Schreiben oft geholfen hat: „Done is better than perfect“. Denn es ist gar nicht leicht, ein Ende zu
finden.
Gilt das auch für Ihr form.bar-Regal?
Schon irgendwie. Vielleicht sollte ich noch eins designen. Denn die fantastischen Möglichkeiten, die Sie haben,
mit organischen Schwüngen etc., haben wir gar nicht ausgenutzt.